Wann zum Psychologen – 5 Tipps

Die Klientin kommt auf Empfehlung zu mir. Im ersten Gespräch wirkt sie kaum aufnahmefähig, kann sich nicht konzentrieren und bittet mich um Wiederholung des Gesagten, da sie es bereits wieder vergessen habe. Das zweite Gespräch sagt sie ab und lässt sich in eine Akutklinik einweisen. 
Diese Klientin hat sich definitiv zu spät Hilfe gesucht. So viele Monate und Jahre hat sie ihr Thema mit sich herumgeschleppt und versucht es allein zu lösen. Der Leidensdruck war bereits so groß, dass der Weg dann doch ziemlich direkt in die Klinik führte. Vielleicht war unser Gespräch der Auslöser dafür. 
Wann sollte man demnach psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Woran erkenne ich, ob ich eine Beratung brauche? In diesem Artikel möchte ich dir ein paar Anhaltspunkte dafür geben. 

Wenn der Leidensdruck fehlt

Manche Klienten kommen einfach, weil sie neugierig sind – denn ich bot einige Zeit lang auch Hypnosesitzungen an (aktuell „nur“ mindTV – eine Visualisierungstechnik, die der Hypnose jedoch sehr ähnlich ist, aber auf den Tranceartigen Zustand verzichtet). Sie wollen einfach mal ausprobieren, wie das so ist mit der Hypnose. Bin ich überhaupt hypnotisierbar? Kann ich danach keine Schokolade essen? Mein zweiter Hypnoseausbilder hat diese Klienten „Besucher“ genannt. Besucher deshalb, weil kein echter Leidensdruck vorliegt, weil sie nur mal vorbeischauen, ausprobieren wollen, aber nicht wirklich bereit sind den Preis in Form von Arbeit zu investieren. 

Grundsätzlich ist Neugier ja kein Problem, jedoch ist Psychotherapie, psychologische Beratung und ja auch Hypnose für mein Gegenüber anstrengend. Es verlangt dem Klienten so einiges ab. Wenn dieser dann nicht einen gewissen Leidensdruck mitbringt, wird er nicht bereit sein, diese Anstrengung auf sich zu nehmen. Die Sitzungen funktionieren einfach nicht so gut. Das Thema ist schwammig, die zu gehenden Schritte erscheinen mehr mühselig als motivierend und die Sitzungen erinnern mehr an ein Gespräch unter Bekannten als an eine psychologische Beratung. 

Versteh mich hier richtig: mir ist bewusst, dass Gespräche auch rein zur Entlastung geführt werden können und dies hat auch seine Berechtigung. Manchmal will man gar nichts ändern, sondern einfach nur gehört werden. Dies kann also durchaus ein Grund sein, einen Psychologen aufzusuchen. Und es gibt ja auch Entspannungshypnosen, die rein suggestiv ausgerichtet sind und dem Klienten ein Gefühl von Wohligkeit vermitteln. Die kann man dann einfach mal ausprobieren.

Fazit: Prüfe für dich, wie groß dein Leidensdruck ist und ob du bereit bist, zu tun, was zu tun ist. Wenn ja, herzlich willkommen! Und wenn du nur mal jemanden zum Reden brauchst: herzlich willkommen!

Wenn es 2 vor 12 ist

Umgekehrt kommen manche Klienten – so wie die Dame von der ich am Anfang schrieb – einfach erst dann wenn es schon 2 vor 12 ist. Wenn sie eigentlich schon nicht mehr können, der Leidensdruck so groß ist, dass sie das Gefühl haben bald durchzudrehen, wenn sich nicht SOFORT etwas ändert. 

Angst vor Stigmatisierung und sich selbst einzugestehen Hilfe zu benötigen sind Gründe dafür, dass Menschen mit psychischen Problemen manchmal zu lang warten oder sich niemals Hilfe holen. 

Doch psychologische Beratung und auch Hypnose können nicht zaubern, auch wenn wir uns das manchmal wünschen. Wenn du schon Monate und Jahre versucht hast, dein Problem zu verdrängen, allein zu lösen oder zu betäuben, dann kommt der Anruf beim Psychologen vielleicht zu spät. 

Dann reicht die Kraft einfach nicht mehr, neben dem Alltag noch an sich selbst zu arbeiten. Dann ist meist ein Klinikaufenthalt, ganz außerhalb des Alltags unvermeidbar, um erstmal zu Kräften zu kommen und sich dann nur auf eins – nämlich sich selbst – zu fokussieren. 

Fazit: weder zu wenig Ledensdruck noch zu viel ist ein günstiger Moment, um zum Psychologen zu gehen. Melde dich dann, wenn du noch die Kraft dazu hast. Ist keinerlei Kraft mehr da, begib dich in eine Klinik.

Woran erkenne ich, ob ich zum Psychologen sollte? 5 Anhaltspunkte

  1. Macht sich dein Umfeld Sorgen um dich?
    Oft bemerken Familie und Freunde früher als wir, dass etwas mit uns nicht stimmt. Vielleicht wurdest du bereits angesprochen, dass du schon lange nicht mehr gelacht hast, dich zurückziehst, niemanden mehr an dich heranlässt usw. Nimm diese Hinweise ernst. Man macht sich nur Sorgen um jemanden, der einem wichtig ist. Sie meinen es also gut. Übernimm jedoch auch selbst die Verantwortung, dich um einen Termin zu kümmern. Du selbst musst bereit sein und den Weg zu gehen!
  2. Fühlst du dich durch dein Problem im Alltag eingeschränkt?
    Du kennst vielleicht den Spruch „Die Menge macht das Gift.“ Wenn du dir in der aktuellen Situation 3x am Tag häufiger die Hände wäscht als üblich, ist das sicherlich noch kein Problem. Wenn du dich jedoch gezwungen fühlst, dich zu waschen und extrem viel Zeit damit verbringst, Ausreden findest, Termine versäumst, Treffen absagst usw. dann ist es eine Einschränkung, die du ernstnehmen solltest. Hol dir professionelle Hilfe. 
  3. Leiden deine Beziehungen?
    Dein Partner kann mit deinen Selbstzweifeln nicht mehr umgehen und die Beziehung leidet darunter? Oder vernachlässigst du deine Freunde, weil dir der Sinn für alles abhanden gekommen ist? Vielleicht kannst du dich nicht so um deine Kinder kümmern, wie du es dir eigentlich wünschst? Dies alles sind Anzeichen dafür, dass du nicht im Lot bist. Je früher du damit beginnst, dich mitzuteilen und dir professionelle Hilfe zu suchen, umso schneller wirst du wieder in deine Spur finden. Wenn du ein körperliches Problem hast, gehst du ja auch zum Arzt und lässt dir helfen. 
  4. Du setzt Alkohol & Co. ein, um dich besser zu fühlen?
    Fällt dir auf, dass du vermehrt isst oder hungerst, öfter Alkohol trinkst als sonst? Vielleicht hast du das Gefühl, dass der Alkohol oder andere Substanzen dich von deinem Problem ablenken, es damit irgendwie leichter geht? Wenn Alkohol & Co deine Freunde geworden sind, auf die du im Hinblick auf dein Problem nicht mehr verzichten kannst oder willst, dann kann dies ein Anzeichen sein, dich in eine Psychotherapie zu begeben. 
  5. Bist du lustlos und antriebsarm?
    Die Spülmaschine müsste ausgeräumt, das Bad geputzt werden, seit Wochen willst du beim Zahnarzt anrufen, doch du schiebst alles auf. Irgendwie macht nichts mehr so richtig Freude, dir fehlt der Sinn und die alltäglichen Aufgaben scheinen unendlich groß und schwer. Nimm dies ernst. Das Leben ist zur Freude gedacht. Ist keine Freude da, dann stimmt etwas nicht und dem solltest du nachgehen. Melde dich bei einem Psychologen und warte nicht zu lang. 

… und wegen Corona zum Psychologen?

Was macht die aktuelle Lage mit dir? Bereitet sie dir Sorge und Angst? Fühlst du dich wie gelähmt oder bist du wütend auf die Politiker, die Welt, auf all das? Glaube mir: du bist nicht allein. Viele Menschen stecken dies nicht so leicht weg wie es scheint. Beobachte dich auch da genau. Wie hast du dich verändert in dieser Zeit? Fühlst du dich überfordert? Kommt Schlaflosigkeit hinzu? Kannst du dich noch konzentrieren? Dann werde rechtzeitig aktiv. Du musst da nicht allein durch und du bist nicht allein. Nicht mit deinen Sorgen, nicht mit diesem Thema.

Wir Psychologen können dir die Angst, die Trauer, die Sorge, die Depression nicht einfach abnehmen. Aber in der Beratung sind wir immerhin zu Zweit 😉

Wenn wir was tun, dann tut sich was!

Geh es an! 


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